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Das Buch.
Eine
interaktive Geschichte.
Es
fing an im Frühling 1997. Es war ein ungewöhnlich warmer Apriltag und ich hatte
diesen Computer tatsächlich zum laufen bekommen. Was für ein Luxus.
Wochenlang hatte ich damit verbracht dieses Ding, das ich nach und nach in
einzelnen Teilen von verschiedenen Bekannten geschenkt bekommen hatte,
zusammenzubauen und zu aktivieren. Jetzt wurde es langsam Zeit mal etwas
Sinnvolles damit anzustellen. Nur fiel mir gerade
überhaupt nichts ein. Überhaupt, langsam ging mir der Computer schon
wieder auf den Nerv, er war eine unglaubliche Dreckschleuder. Um den Computer
herum entstanden im Laufe der Zeit Berge von übervollen Aschenbechern neben
Kaffeetassen mit undefinierbarem Inhalt und dazwischen wuchsen offenbar noch
angebissene Brötchen, Äpfel und Bananenschalen.
Die
Folgen davon waren völlig unvorhersehbar. Eine kurze Zeit beobachtete ich nun
den Computer bei der Arbeit. Witzigerweise zeigt mein Rechner bei seiner
Arbeit immer wieder ein sich drehendes Jing Jang Zeichen. Als ich davon genug
hatte, begann ich endlich den Müll um den Computer herum wegzuräumen. Von
Zeit zu Zeit schaute ich nach dem Rechner, doch der war fleißig am arbeiten.
Gut, der Computer war beschäftigt und ich fing an nach und nach meine ganze
Wohnung aufzuräumen.
Nachdem
ich gutgelaunt sogar meine Fenster , die seit mindestens drei Jahren keinen
Lappen mehr gesehen hatten, geputzt hatte, drehte der Computer immer noch
seine Jing Jang Runden. Also machte ich wahrscheinlich zum ersten Mal unter
meinem Bett sauber. Bemerkenswerterweise befand sich unter den Gegenständen,
die dabei zu Tage kamen, ein durchsichtiges holographisches Auge, das sich
langsam auflöste. Irgendwann wurde es dann Zeit zur Arbeit zu gehen, der
Rechner war immer noch beschäftigt. Als ich ihn schließlich abschaltete,
lachte ich in mich hinein: endlich hatte ich eine wirklich sinnvolle Anwendung
für meinen Computer gefunden. Anstatt daß der Computer mir die Zeit stahl,
stahl ich ihm die Zeit.
Wie
lange würde es dauern bis ein quadratkilometergroßes M berechnet,
ausgedruckt und zusammengeklebt wäre? Wie viel Papier würde man benötigen?
Wo könnte man es aufhängen? Welchen Sinn sollte es haben? Wochenlang war ich
damit beschäftigt immer wieder neue Ideen zu entwerfen
und damit meine Mitmenschen teils in amüsierte Verzückung oder aber
in ernsthafte Sorgen um meine geistige Gesundheit zu versetzen. Besonders
Francesco, der Barmann an meiner Arbeitsstelle, geriet zunehmend in
Verzweiflung sobald er von dem Buchstaben M hörte.
Da
ich nun aber in der Vorbereitung für eine Kunstausstellung war, und mich
irgendetwas an diesen aberwitzigen Überlegungen nicht recht loslies,konnte und wollte ich mit meinen M Forschungen nicht aufhören. An manchen Tagen
verwarf ich jede weitere Beschäftigung mit dieser absurden Geschichte, um
dann am nächsten Tag wieder einen neuen Ansatz zu finden.
Wenige
Wochen vor der geplanten Ausstellung dachte ich endlich eine sinnvolle
Konzeption gefunden zu haben. Die Idee war, eine Wand mit einem großen, aus einzelnen Din A4 großen Blättern
bestehenden Plakat zu bekleben, auf dem alle Details meiner M Forschung
beschrieben wären, inklusive einer Skizze eines quadratkilometergroßen M's, das in der Sahara liegt. Vor diesem Plakat
sollte mein Computer samt Drucker stehen. Der Computer sollte so eingerichtet
sein, daß, sobald man ihn einschaltet, er automatisch in die Situation fährt,
in der man nur auf eine Taste drücken muß, um ihn das 1 km2 große M zuerst
einmal berechnen zu lassen. Die Besucher der Ausstellung sollten nun die Möglichkeit
haben, den Computer einzuschalten, ihn auszuschalten, oder aber ihn das 1km2
große M berechnen zu lassen.
Ein
wichtiges Detail an dieser Stelle ist nun, daß es sich bei meinem Computer um
ein uraltes Teil handelt, einen ausgestorbenen Dinosaurier, der kaum noch
benutzt wird, obgleich er erstaunliches zu leisten vermag. Eine Frage, die
sich in diesem Zusammenhang aufdrängt, ist natürlich, ob und wozu man
Computer überhaupt braucht, wenn nicht um die Wohnung aufzuräumen? Und wozu
braucht man ständig neue Computer? So war ein Teil dieser Konzeption ein
Wettbewerb mit Bill Gates, der es bekanntlich zu einem der reichsten Menschen
der Welt gebracht hat, indem er die Menschheit mit immer wieder neuen Programmen für immer wieder neue Computer beglückt. Immer
wieder neue Computer, die neue Probleme lösen, die es vorher nicht gab. Und
das, obwohl es doch offensichtlich schon seit vielen Jahren einen Computer
gibt, der etwas so sinnvolles und großartiges zu berechnen und herzustellen
vermag, wie ein einen Quadratkilometer großes M! Der Wettbewerb bestünde
darin, als erster ein 1km2 großes M aus einzelnen Din A4 großen Blättern
herzustellen und zusammenzukleben. Da ich früher damit angefangen hatte,
rechnete ich mir gute Chancen aus, zumal es wahrscheinlich eine gewisse Zeit
dauern würde, bis Bill Gates Wind davon bekäme, wenn er sich überhaupt auf
den Wettbewerb einließe. Würde er nicht mitspielen, stände ich natürlich
als Gewinner da.
Der
Mai war schon nicht mehr ganz jung und es wurde immer deutlicher, daß sich
die ganze Geschichte langsam zu einer Art Besessenheit entwickelt hatte. In
irgendeiner Form mußte ich mich von dieser fixen Idee lösen. Also begann
ich, die Idee zu realisieren.
Ich
nahm meinen ganzen Mut zusammen und gab dem Computer das 1km2 große M
erstmalig zur Berechnung ein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es sich bei der
ganzen Angelegenheit ausschließlich um eine intellektuelle Auseinandersetzung
über das für und wieder, das ob oder auch nicht und das wie und warum eines
1km2 großen M's gehandelt. Doch als ich nun die Maße auf dem Bildschirm
eintrug, ich war wirklich aufgeregt, meldete der Computer, daß er leider nur
256 Meter x 256 Meter große Dokumente berechnen könnte. Es würde sich um
gerademal ca. 850.000 einzelne Seiten handeln. Mist. Damit war mal wieder die
ganze Konzeption gescheitert. Ein Quadratkilometer, das war eine Zahl, die man
sich merken konnte, das hatte was. Aber 256 x 256 Meter, wer konnte damit
schon etwas anfangen? Wieder befand ich mich in der höchst unbefriedigenden Situation,
einerseits mit diesem anfangs so vielversprechenden Projekt abschließen zu
wollen und weiter mein Heim zu verschönern, andererseits aber immer mehr
besessen zu werden von einem nicht enden wollenden, absurden, unvollendbaren
Irrsinn.
Nach
mittlerweile mehreren Wochen traf ich zum wer weiß wievielten Mal die
Entscheidung, das M als zermürbende fixe Idee endgültig aus meinem Kopf und
meinem Leben zu entfernen. Es gelang mir nicht.
So
entschied ich mich dazu, eine Skizze
des 1km2 M anzufertigen. Diese Skizze enthielt einen großen Teil der
verschiedenen Aspekte, die die Herstellung eben dieses quadratkilometergroßen
M mit sich bringen würde. Sie wurde zu einem Bastelset aus 24 einzelnen
Papieren, das zusammengeklebt
genau einen Quadratmeter M ergab. Um dennoch auf den gewünschten
zusammengeklebten Quadratkilometer M zu kommen, limtierte ich die mögliche
Menge an von mir hergestellten M-Bastelsets auf eine Million Exemplare, da
eine Million Quadratmeter M eben genau einen Quadaratkilometer M ergeben würden.
Damit hoffte ich mich von meiner Besessenheit zu befreien. Rechtzeitig zur
Ausstellung hatte ich also mein erstes M gebastelt, und etwa 50 Bastelsets
signiert und limitiert.
Mein
antiquierter Computer zeigte sich
auf Grund eines kleinen Defekts am Drucker bei der Herstellung der Sets als
besonders geeignet. Jeder einzelne Ausdruck enthielt drei kleine Macken, die
sich von Blatt zu Blatt verschoben und dadurch jedes Blatt aus einem Bastelset
zu einem Unikat machten. Da es sich bei dem Computer und den Drucker um
Originalteile eines ausgestorbenen Modells handelt, sind diese Blätter auf
Dauer kaum zu fälschen. Wunderbar. In nur sechs Wochen war es mir gelungen,
die Menschheit mit etwas zu beglücken, das Sie noch dringender benötigt, als
einen neuen Computer. Endlich hatte die Welt was sie so sehr braucht: Eine
Million „M“, einen Quadratkilometer groß, als Bastelset aus einzelnen Din
A4 Blättern.Der
Text, den diese Skizze enthielt, entpuppte sich im nachhinein als ein Rätsel,
das ich mir selber gestellt hatte. Stück für Stück löste ich dieses Rätsel
in der folgenden Zeit. Am Ende entstand daraus ein neues Rätsel, welches
wieder ein neues Rätsel erzeugte. Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, wie
diese Geschichte nun ausgeht. Trotz aller ihrer überraschenden Wendungen, bin
ich aber immer noch überzeugt, daß sie ein gutes Ende nimmt.